Gerald…

Gerald…

… der Auswanderer ist eine Story für sich –

Detailbericht über den Abend bei Gerald aus dem Bericht Einsiedler Gerald und andere Overlander:

Nachdem wir so mitten in der Nacht bei ihm auf den Hof fahren und er weder selbstgebrautes Bier noch ne warme Dusche für uns hat, kommen wir auf den Plausch mit rein.

Auf dem Weg zum Haus, stolpert Gerald. „Mensch, jedesmal fall ich über diesen Baumstumpf. Ich sollte ihn endlich mal ausgraben.“ Er holt ein Sixer Dosenbier aus dem Auto. Im Haus brennt ein Ofen, schön warm ist es, das Bier auch. Macht nichts. Er verabschiedet sich kurz auf Facebook von seiner „Kleinen“, mit der er am Chatten war. „Tolle Frau ist das. Kommt vorbei, macht sauber, bringt Essen mit, kocht.“ Seit sechs Monaten hat er die schon. Davor ein paar andere Liebeleien, seit seine Exfrau im März letzten Jahres weggelaufen ist. „Dieses Facebook ist toll, da lernt man so viele Frauen kennen.“ Gerald ist herzlich, offen und nach den vielen Storys, die er uns erzählt, noch erstaunlich lebensfroh.

Vor genau 14 Jahren, 2 Monaten und 8 Tagen ist er aus Deutschland ausgewandert mit seiner „Kleinen“. Schornsteinfeger war er, „immer die gleichen Schornsteine sauber machen, kein Bock mehr gehabt“. Er wollte raus aus Deutschland, hatte an Australien oder Kanada gedacht, aber seine Kleine meinte, sie sei doch Chilenin, warum nicht nach Chile und so sind sie hier gelandet. Haus in Deutschland verkauft, Land hier gekauft, reiten und Spanisch gelernt, fünf Kilometer Zaun gezogen, Tiere gekauft. Die Kühe hat er mittlerweile wieder verkauft, als sein Sohn zur Polizeischule gegangen ist, die Guanacos, als seine Ex weg ist und jetzt hat er noch so an die 28 Schafe. Die meisten haben Namen. Schlachten und Verkaufen fällt da schwer. Leben tut er zur Zeit hauptsächlich von seinem selbstgebrauten Bier. Das braut er nach einem Rezept seiner Großmutter. „Mein Opa war nämlich Pirat und wehe es gab kein Bier, wenn er von der See nach Hause kam.“ In Wirklichkeit war er U-Bootfahrer und hat beide Weltkriege, den ersten mit 14 Jahren, auf dem U-Boot überlebt. Nach Deutschland hat Gerald, der mit seiner ausgeprägten, muskulösen Brust und starken Armen auch wie ein Seemann aussieht und vielleicht ein bisschen an Popei erinnert, sonst nur wenig Kontakt. Vor zwei Jahren hat ihn sein Bruder angerufen, dass seine Mutter verstorben sei. Seit dem haben sie ein bisschen Kontakt über Facebook, „der kauft sich allerlei Zeug, aber hat nicht den Arsch ina Hose mich mal zu besuchen“. Er selber war nie wieder in Deutschland. Zu teuer, sagt er.

Hochwasser vor sechs Jahren hat ihm ordentlich zugesetzt. Ein Erdrutsch oben in den Bergen hat das ganze Wasser angestaut, als der Damm gebrochen ist, kam das ganze Wasser runter und hat Schlamm, Steine und ganze Bäume mitgebracht. Das Haus steckte nen halben Meter im Schlammassel. Das Haus, in dem wir sitzen, ist das neue. Und der Nachbar macht auch nur Ärger, dauernd gibt es Ärger um das wenige Wasser am Ende des Sommers, vor allem so Ende Februar bis Anfang April. Vor ein paar Jahren wollte er dann ein Stück vom Touristenkuchen abhaben und hat behauptet, die Felsen, wegen denen die Kletterer zu Gerald kommen und bei ihm campen, seien auf seinem Grundstück. Als Gerald das mit Verweis auf die Pläne abstreitet, brennt kurze Zeit später ein großer Teil seines Grundstücks inklusive Zaun ab. Er hat den Nachbarn in Verdacht und beschuldigt ihn auch, ein Stück seines Wasserschlauchs geklaut zu haben und zu sich verlegt zu haben. Daraufhin ist Gerald mit der Axt losgezogen und hat den Schlauch durchgehackt. Ein paar Tage später stand die PDI vor seiner Tür, aber er konnte sie besänftigen, schließlich ist sein Sohn auch bei dem Verein. Es ist also so einiges schief gelaufen die letzten Jahre, sicher ein Grund, warum seine alte Kleine dann vor einem Jahr auch abgehauen ist. Er erzählt, wie es nach 27 Jahren Ehe zu dem Ende kam, wirkt aber, als käme er mit allem mittlerweile ganz gut klar. Seine Tocher ist damals in Deutschland geblieben. „War gerade 18 und hatte ihre Freunde ja dort. Der Junge arbeitet in Puerto Montt bei den Carabiñeros. Hat letzte Woche die Dicke geheiratet und der Ritter in seiner Rüstung war auch da. Für Fünfhunderttausend Pesos hat mein Sohn dem Schwiegervater nen Anzug für die Hochzeit gekauft und seinem eigenen Vater hat er nicht mal das Taxi zu Hochzeit bezahlt. Undankbar. Will ich nix mehr mit zu tun haben. Hab ihn auch bei Facebook gelöscht.“ Er zeigt uns Fotos von der Hochzeit und dem Mann in der Ritterrüstung, einem silberglänzenden Anthrazitanzug, der in der Tat etwas albern aussieht.

Er kommt auf seine Zukunftspläne zu sprechen. Das Land versucht er gerade zu verkaufen. Nicht so einfach. Gibt halt kein Wasser hier. Vor ein paar Jahren hat ihm ein damals guter Freund zugesichert ihm die Ausbetonierung eines Brunnen zu bezahlen, wenn er das Loch gräbt. Zusammen mit einem Zimmermann auf Wanderschaft hat er das Loch gegraben. Auf elf Meter sind sie auf Wasser gestoßen, doch dann hat der „Freund“ nen Rückzieher gemacht. Natürlich ist es wieder eingefallen und dient jetzt als Müllloch.  Dennoch, wenn das Campo erstmal verkauft ist, will er in Puerto Tranquillo ne Parzelle von nem Kumpel kaufen und dort ne Kneipe mit seinem selbstgebrautem Bier aufmachen.

Neben dem Bier hat er als weitere Einnahmequelle die Schafe, Cordero Patagonico. Fell und Fleisch bringen Geld, aber das Schlachten gefällt ihm nicht. Timm will das mal sehen. „Klar“, sacht Gerald, „dann ist morgen Schlachttag“. „Nicht wegen uns!“ “ Doch, die müssen eh sterben. Die sind groß und die fi*k*n halt ihre Mütter. Und dann kommen die Lämmer nicht über den kalten Winter.“ Timm schlägt vor ihnen vorher noch einen Bolzenschuss zu verpassen, damit sie auch sicher tot sind. Ein Bolzenschussgerät hat Gerald nicht da, aber ne Menge anderer Waffen. Er greift nacht hinten und holt ne 38er aus der Schublade, entnimmt die Patronen und reicht sie Timm. Zu schwer für ihn. Hinsichtlich der Gefährlichkeit von Waffen und den Waffengesetzen in Deutschland, Chile und USA herrscht Uneinigkeit bei Gerald und Timm. Darauf holt Gerald ne Repetirflinte hervor. Timm nimmt damit Schusshaltung ein und ist begeistert.

Da kommt die Katze von Gerald angesprungen und setzt sich zu Marie. Den richtigen Namen hab ich vergessen, aber wegen ihres Schnäuzers trägt sie den Spitznamen Adolf, sehr passend. Nach dem zweiten Sixer Bier ist es Zeit für’s Bett.

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Ein toller und interessanter Abend, der etwas Abwechslung in unsere Zweisamkeit gebracht hat. Ob wir vom Schlachten träumen werden?

Die Fortsetzung am Morgen bei Gerald ist in dem Beitrag Einsiedler Gerald und andere Overlander zu lesen.

10.03.2016